28. September 2014

Aus "Schwarzes Loch" von Thomas Gollas S.235/236

Mehr habe ich von Merz nicht zu berichten. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Verschwunden, als habe ihn der Erdboden verschluckt. Aber dagewesen, zweifellos. Manchmal, wenn ich Obdachlosen, Bettlern und sogenannten Pennern begegne, schaue ich sie mir jetzt genauer und mit wesentlich größerem Interesse an, als früher, als könne ich ihn, Merz, unter diesen Gestrauchelten und wie gesagt wird Heruntergekommenen wiederfinden. 
Bei irgendeinem unserer Zusammenkünfte, möglicherweise auch in einem seiner Texte, hatte er mir einmal die sogenannten Schwarzen Löcher erklärt. Schwarze Löcher seien, so hatte Merz erläutert, astrophysikalische Phänomene, die seit einiger Zeit von den Astronomen und Physikern immer häufiger im All entdeckt, zumindest aber vermutet würden. Diese Gebilde zeichneten sich dadurch aus, daß sie wegen ihrer großen Masse, die dem Millionen- und Milliardenfachen einer Sonne entspreche und also wegen unvorstellbarer Massenanziehungskräfte, alles verschlängen und sich zu eigen machten, was in ihre Nähe gerate. Somit nehme die Masse eines schwarzen Lochs immer mehr zu und der Raum werde in der Nähe eines schwarzen Lochs so stark gekrümmt, daß aus diesem Raumschlund nichts entweichen könne, nicht einmal das Schnellste, das Licht. Da es im schwarzen Loch nichts anderes mehr als eben das schwarze Loch gebe, sei auch eine Relation zwischen zwei Dingen und also Bewegung und also letztlich Zeit nicht mehr existent. Irgendwann werde sich irgendein schwarzes Loch durchsetzen und das ganze Universum verschlingen, mit der Folge eines neuerlichen sogenannten Urknalls, mit dem möglicherweise alles wieder von vorne beginnen müsse. 
Am allermeisten, so Merz damals, und im höchsten Maße unbefriedigend, empfinde er den Umstand, daß am Ende, wo doch schließlich am meisten gewußt werde und wo sich alle Erfahrungen, Erkenntnisse und Einsichten in einem Punkt bündelten – ähnlich möglicherweise diesem Phänomen des sogenannten schwarzen Lochs – nichts mehr davon weiterzugeben und zu vermitteln möglich sei. Hier angelangt, so Merz, herrsche die größtvorstellbare und also eine Art unendlich verdichtete Sprachlosigkeit.

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