31. Oktober 2014

Eine Dose Künstlerscheiße

Meine Kommentare zu  Kusanowsky - Eine Dose Künstlerscheiße

“Aber im Sinne einer Aufklärung käme es darauf an, wie Künstler Kunst erklären würden. Aber sie können es nicht …” Diese “Aufklärung” fordern nur die wissgierigen Wissenschaftler, die ja alles erklären wollen, dies aber niemals erreichen werden und die misstrauischen Ahnungslosen, die zu verdächtiger Kunst “kann ich auch” sagen, dies aber niemals beweisen würden. Wenn Künstler Kunst erklären könnten und wollten, wäre sie überflüssig, weil die Erklärungen ja völlig genügten. Man versuche, sich eine erklärte (geklärte?) Musik vorzustellen! “Kunst macht sichtbar, dass es für nichts einfache und alternativlose Lösungen” – und Erklärungen (auch keine schwierigen, komplizierten) – “geben kann; sie fügt der Realität immer noch eine weitere Möglichkeit hinzu.” (Armin Nassehi mit kleinem Einschub) Dem Wissenschaftler und dem Ahnungslosen fällt es naturgemäß schwer dies zu akzeptieren.

Ein Kunstwerk muss ja nicht gleich einen Tornado auslösen, wie der sprichwörtliche Flügelschlag eines Schmetterlings im Regenwald Brasiliens, aber ganz so trivial und irrelevant wie der in China umfallende Sack Reis ist Manzonis Künstlerscheiße in Dosen – genauso übrigens, wie da Vincis Mona Lisa – für die Wirklichkeit der Welt auch nicht. Ohne Manzonis Werk gäbe es zumindest diesen Blogbeitrag und diese Kommentare nicht, ganz zu schweigen von dem Skandal und den Diskussionen, die es damals, vor 50 Jahren, provoziert hat. Manzoni hat also der Wirklichkeit in nicht geringem Maße etwas hinzugefügt und die Welt (ja!) verändert und ich bin mir bei keinem Kunstwerk so sicher, wie bei diesem, dass es früher oder später ein Anderer gemacht hätte, wenn es Manzoni nicht getan hätte.

30. Oktober 2014

Aus »Der Mann ohne Eigenschaften« von R. Musil 1

Vor dem Gesetz waren alle Bürger gleich, aber nicht alle waren eben Bürger.
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 Man hat Wirklichkeit gewonnen und Traum verloren.
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 Man liegt nicht mehr unter einem Baum und guckt zwischen der großen und der zweiten Zehe hindurch in den Himmel.
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 Irgendwie geht Ordnung in das Bedürfnis nach Totschlag über.
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 Sie wollen wissen, wieso ich jedes Buch kenne? Das kann ich ihnen nun allerdings sagen: Weil ich keines lese!
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 Wer sich auf den Inhalt einläßt, ist als Bibliothekar verloren! hat er mich belehrt. Er wird niemals einen Überblick gewinnen!
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... denn man kann vom Leben, wenn es gewaltig ist, nicht auch noch fordern, daß es gut sein soll.
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Allein, das Leben baut nichts auf, wozu es nicht die Steine anderswo ausbricht.
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Man stelle sich ein Eichhörnchen vor, das nicht weiß, ob es ein Eichhorn oder eine Eichkatze ist, ein Wesen, das keinen Begriff von sich hat, so wird man verstehen, daß es unter Umständen vor seinem eigenen Schwanz eine heillose Angst bekommen kann; ...
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... mit einer merkwürdigen hastigen Langsamkeit, wie sie entsteht, wenn jemand eilende Geläufigkeit seines Tuns mäßigend verbergen will, ...
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Sie war durch ein Realgymnasium und einige Semester der Universität gegangen, sie hatte eine Unmenge neuen Wissens berührt, das nicht mehr in den alten Fassungen des klassischen und humanistischen Geistes unterzubringen war; in vielen jungen Leuten hinterläßt solcher Bildungsgang heute das Gefühl, daß sie gänzlich ohnmächtig seien, während vor ihnen die neue Zeit wie eine neue Welt liegt, deren Boden mit den alten Werkzeugen nicht bearbeitet werden kann.

29. Oktober 2014

In den so genannten sozialen Netzwerken

... tummeln sich viele Einäugige, die sich unter Blinden wähnen und es nicht begreifen können, wenn einmal ein Zweiäugiger auftaucht.

23. Oktober 2014

Samuel Beckett

Gefragt, ob er die Heisenbergsche Unschärferelation gelesen habe, antwortete Beckett: "Wenn überhaupt, ist es mir gelungen, sie erfolgreich zu verdrängen."
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Bei der Vorbereitung der Inszenierung von "Quadrat" äußerte Beckett den Wunsch nach den Farben Rot, Gelb, Grün, Blau, und jemand sagte, Schwarz-Weiß sei auch eindrucksvoll. Ein Anderer meinte, man könne es doch erst farbig und dann schwarz-weiß machen. Da sagte Beckett: "Jawohl! So machen wir es, und dazwischen sind 100.000 Jahre Pause."

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Aus "Molloy" (Schlußsätze):
"Es waren die längsten, schönsten Tage des Jahres. Ich lebte im Garten. Ich habe von einer Stimme gesprochen, die mir dies oder das anbefahl. Damals begann ich, mich mit ihr zu vertragen, zu begreifen, was sie wollte. Sie bediente sich nicht der Worte, die man den kleinen Moran gelehrt und die er später seinen eigenen Sohn gelehrt hatte. Daher wußte ich anfangs nicht, was sie wollte. Aber am Ende verstand ich diese Sprache. Ich habe sie verstanden, ich verstehe sie, wenn auch vielleicht falsch. Darauf kommt es nicht an. Auf ihr Geheiß schreibe ich den Bericht. Soll das bedeuten, daß ich jetzt freier bin? Ich weiß es nicht. Es wird sich zeigen. Dann ging ich in das Haus zurück und schrieb 'Es ist Mitternacht. Der Regen peitscht gegen die Scheiben.' Es war nicht Mitternacht. Es regnete nicht."
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Aus "Der Namenlose" (S. 457, werkausgabe edition suhrkamp, 8. Band, 1976):

"Ich brauche nur weiterzumachen, als ob etwas zu tun wäre …"

S. 454







S.455


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Vorwort zu "Film"











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Link Youtube-Clip >  Als ich "Der Verwaiser" von Samuel Beckett las
Danke für die Aufmerksamkeit und die Geduld. Es war eine spontane Aktion, als ich plötzlich beim Lesen von Becketts "Der Verwaiser", bei bestem Wetter, auf dem Balkon, den Gedanken hatte, dass die im Verwaiser beschriebene Situation (die Leute in dem Zylinder mit den Nischen), dieser Situation in diesen Wohngebäuden mit den Balkonen, ziemlich ähnlich ist. Der Film ist somit eine Art Illustration zu dem Beckett-Text. (Beckett würde wahrscheinlich sagen: "Oder auch nicht.")
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"Unsere Zeit ist so aufregend, dass man die Menschen eigentlich nur noch mit Langeweile schockieren kann."

Ende einer Geschichte

Die Schmerzen waren jetzt kaum noch auszuhalten. Trotzdem raffte er sich mit einer letzten Kraftanstrengung auf und setzte diesen Tweet ab: "Alles, was ich sage, kann mir genommen werden. Alles, nur nicht mein Schweigen."

Heute hat der Papst in 9 Sprachen getwittert:

"Die Familie ist der Ort, wo wir uns als Personen entwickeln. Jede Familie ist ein Baustein, der die Gesellschaft aufbaut."

Ich habe ihn daraufhin gefragt: "Aber was tragen dann zölibatäre Priester zum Aufbau der Gesellschaft bei?"

Keine Antwort. (In 9 Sprachen.)

So

Und jetzt irgendetwas wegwerfen  –  im Weltraum.

Unterwegs

Diese Frau bewegt sich fort,
als müsse sie gegen einen starken Wind ankämpfen.
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Da ist einer von denen,
denen man ansieht, wie sie nicht aussehen wollen.
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In der Straßenbahn lacht eine Frau einen Hund an,
dessen Besitzerin lacht stellvertretend zurück.

19. Oktober 2014

Jorge Luis Borges und Jacques Derrida

Jorge Luis Borges: "No one ever reads me correctly."
(Dear Mr.Borges, if no one ever reads you correctly, maybe you never wrote truthful?)
Jacques Derrida; "No one ever misreads me correctly."
(Dear Mr.Derrida, if no one ever misreads you correctly, maybe everything you ever wrote was wrong?)

13. Oktober 2014

Andy Warhol – Das Leben ist ein Traum

»Bevor auf mich geschossen wurde, hatte ich immer das Gefühl, nicht zu leben, sondern fernzusehen. In dem Moment als die Schüsse fielen, wusste ich genau, dass ich fernsah. Seitdem kommt mir alles vor, wie ein Traum. Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich lebe, oder gestorben bin. Es ist traurig. Das Leben ist ein Traum. Vorher hatte ich keine Angst. Jetzt, da ich schon einmal tot war, sollte Angst mir fremd sein. Aber ich habe Angst. Ich weiß nicht warum. Ich habe Angst vor Gott allein und das war vorher nicht so.«

11. Oktober 2014

Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.

Der Papst hat auf Twitter zur Zeit knapp 16 Millionen Follower in
9 Accounts verschiedener Sprachen. Er selbst folgt jedoch nur sich selbst, nämlich seinen jeweils 8 anderssprachigen Accounts. Sagt dies nicht eigentlich alles über die Dialogfähigkeit und -bereitschaft der katholischen Kirche?

8. Oktober 2014

Aus "Schwarzes Loch" von Thomas Gollas S.75

Kaum die Wohnungstür hinter sich zugedrückt, so Merz, seien alle aufkeimenden, positiven Gefühle jedesmal wieder wie weggeblasen gewesen. Die Stille habe sofort jeden zarten Hoffnungskeim erstickt. So müsse man sich wahrscheinlich die Gefangenschaft in einer Gummizelle vorstellen. Auf seinem schwarzen Sofa sitzend, dem leisen Knacken des Heizkörpers ausgeliefert, habe er dann leise und in fassungsloser Verzweiflung mehrmals und immer wieder kopfschüttelnd Scheiße – Scheiße und Unglaublich vor sich hin gemurmelt. Der Gitarrist, irgendwo im Haus, mit seinen Übungen. Von der Straße, gedämpft, die Geräusche der Autos. Drei leise Schläge der Kirchturmuhr und dazwischen sein grundlos rasender Herzschlag. Viertelvorneun. Weit entfernt, aber doch im Haus, menschliche Stimmen. Lachende, offenbar fröhliche Leute, irgendwo ganz in der Nähe, aber unerreichbar. Es habe eine solch unvorstellbare Verzweiflung geherrscht, so Merz, daß er es gar nicht sagen könne. Ohne Zweifel, ein unbeschreiblich trostloses Elend. Und es war Winter jetzt. Seit Wochen schon, eisige Kälte in Mitteleuropa. Zweistellige Minusgrade. Meldungen von erfrorenen Menschen. Eisregen. Glatteis. Verkehrschaos. Schneefälle am Mittelmeer. Überall diese alles lähmende, gegen das Leben gerichtete, tödliche Umklammerung eines mörderischen Frostes.

Aus "Schwarzes Loch" von Thomas Gollas S.12

Überall wo er sich jetzt aufhalte, müsse er nach kurzer Zeit feststellen, daß etwas Lebensnotwendiges fehle. Halte er sich bei seiner Liebhaberin auf, vermisse er schmerzlich seine Kinder. Seien seine Kinder bei ihm, fehle ihm ein Partner. Nirgends fühle er sich am rechten Ort, wie das einzelne Teil eines Puzzles, für das sich kein passender Platz finden lasse. Merz sagt, wie aus einem Traum aufwachend, frage er sich bei jeder Gelegenheit, wie er hierhergekommen sei, was er hier solle, wer ihn dahin und hierher zitiert und was ihn veranlaßt habe dies oder das zu tun und wozu. Er fühle sich wie ein Grashalm, der Willkür der wechselnden Winde ausgesetzt, allerdings ohne Wurzel. Die kleinen, wie auch die großen Ereignisse brauten sich immer wieder zu einer dunklen Wolke der Bedrohung zusammen und aus Furcht vor Fehlern sei er außerstande, angemessen und mit klarem Verstand zu reagieren.

7. Oktober 2014

Betrachtung über die Qualität

Es gibt kaum etwas auf der Welt, das nicht irgendjemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte.
Die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften.
Es ist unklug zuviel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter zuwenig zu bezahlen. Wenn Sie zuviel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zuwenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann.
Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Ware zu erhalten.
Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen.
Und wenn Sie das tun, haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.
John Ruskin, englischer Sozialreformer (1819 – 1900)

4. Oktober 2014

Hokusai (1760 – 1849) Zitat

„Seit ich sechs Jahre alt bin, habe ich die Manie zu zeichnen gehabt. Mit fünfzig Jahren hatte ich eine unendliche Menge von Zeichnungen veröffentlicht, aber alles, was ich vor dem dreiundsechzigsten Jahre geschaffen hatte, ist nicht der Rede wert. Gegen das Alter von dreiundsiebzig Jahren ungefähr, habe ich etwas von der wahren Natur der Tiere, der Kräuter, der Fische und der Insekten begriffen. Folglich werde ich mit achtzig Jahren nochmals Fortschritte gemacht haben. Mit neunzig Jahren werde ich das Geheimnis der Dinge durchschauen und wenn ich hundertzehn Jahre zähle, wird alles von mir, und sei es auch nur ein Strich oder ein Punkt, lebendig sein.“
Hokusai (1760 – 1849)

2. Oktober 2014

Aus "Glück" von Thomas Gollas (unvollendet)

Als ich elf Jahre alt war, stürmte jemand aus dem Treppenhaus in unsere Küche, wo wir gerade beim Abendessen saßen, erschoss meinen Vater und verschwand. Der Mann war maskiert, mit einer über das Kinn heruntergezogenen Strickmütze, aus deren herausgeschnittenen, grob ausgefransten Sehschlitzen Augen herausblitzten, die ich nie vergessen habe, denn heute noch sehe ich in mancher schlaflosen Nacht diesen maskierten Kopf und diese Augen vor mir. 
Das Auftauchen, die Tat und das Verschwinden des Mörders, hat nicht länger als zwanzig Sekunden gedauert. Nicht genug Zeit um richtig zu erschrecken oder sonst in irgendeiner Form zu reagieren. Erst als der Täter verschwunden war, erschraken meine Mutter und ich beim Anblick meines Vaters, dessen Kopf vornüber auf den Teller gesunken war. Sein Blut, das aus einer kleinen, runden Schusswunde an der rechten Schläfe heraustropfte, setzte einen hellroten Fleck auf die dunkle Bratensoße, der sich Tropfen für Tropfen vergrößerte und ich erinnere mich, dass ich diesen Vorgang, diese kleine Bewegung, mit dem leisen Tropfgeräusch, einige Augenblicke lang seltsam fasziniert beobachtete, gebannt, träumerisch und also geradezu hypnotisiert – als ob alles Drumherum, die Welt, das Leben, die Zeit, für einen Moment stillstünden – bis die Flüssigkeit den Tellerrand erreichte, überlief, abfloss und auf dem Tischtuch einen Fleck erzeugte in dem sich schließlich die beiden Farben unvollkommen mischten, wie verschiedenfarbige Tinten auf einem Löschblatt. 
Die entsetzten Hilfeschreie meiner Mutter nahm ich währenddessen wie durch etwas Schalldämpfendes hindurch wahr, als sei ich von durchsichtiger Watte umgeben, die mich schützend abpolsterte gegen die Wirklichkeit. Den Bissen, den ich gerade im Mund hatte und auf dem ich die ganze Zeit herumgekaut hatte, musste ich wieder auf meinen Teller spucken. Es war mir unmöglich ihn noch zu schlucken. Meine Mutter sprang hinter mich, packte mich an meinen Schultern, zog mich zu sich hoch und drehte mich zu sich herum. „Schau nicht hin, schau nicht hin!“ schrie sie und zerrte mich dabei ganz vom Tisch weg, wodurch ich zwangsläufig meinen Stuhl umstieß, der laut klappernd auf den Boden kippte. 
Dann war einen Moment absolute Stille. Ich hörte in diesem Augenblick nur leise die Blutstropfen meines Vaters in die Soße fallen. Ein sehr feines, einzelnes, regelmäßiges Tröpfeln, das mit dem monotonen Ticken der Küchenuhr an der Wand eine Art Duett veranstaltete. 
Nach einem Aufseufzen ließ mich meine Mutter los und fiel in Ohnmacht. Bevor ich mich zu ihr knien und mich um sie kümmern konnte, hörte ich schon erregte, rufende Stimmen und polternde Schritte aus dem Treppenhaus. Die nur angelehnte Tür wurde aufgestoßen und der über uns, im zweiten Stock, lebende Nachbar stürzte herein. Er war Feuerwehrmann und gewohnt anzupacken, wenn Unfälle oder anderes Unglück geschehen waren. Mit einem Blick erfasste er die Situation. Mein erschossener Vater am Tisch, meine ohnmächtige Mutter auf dem Boden und ich, völlig verstört, mitten im Raum stehend. 
Später, und immer, wenn die Sprache auf dieses schreckliche Geschehen kam, wurde gesagt – und ich musste mich dafür immer wieder schämen – um meine Mundwinkel hätte ein rätselhaftes Lächeln gespielt. Oben, um die Augen herum, sei ich ernst, schockiert, entsetzt, betroffen gewesen, in den Augen die nackte Angst, wie es sich in einer solchen Situation gehört. Unten jedoch, um die Mundwinkel herum, sei dieses rätselhafte Lächeln gewesen.