29. September 2014

Peter Handke bei Gruppe 47 in Princeton 1966

Noch vor der Auslieferung seines Erstlingsromans im Frühjahr 1966 machte Handke, der damals eine Pilzkopf-Frisur im Stil der Beatles trug, durch einen spektakulären Auftritt auf einer Tagung der Gruppe 47 in Princeton auf sich aufmerksam. Nach stundenlangen Lesungen zeigte er sich angewidert von den Werken seiner etablierten Kollegen und hielt eine längere Schmährede, in der er die „Beschreibungsimpotenz“ der Autoren beklagte und auch die Literaturkritik nicht verschonte, „die ebenso läppisch ist wie diese läppische Literatur“. Mit dieser Rede hatte er zugleich einen Tabubruch begangen, da es auf den Treffen der Gruppe 47 unüblich war, allgemeine Grundsatzdebatten über literarische Themen anzuzetteln. Grundlage der Gespräche sollte immer der jeweilige Text bleiben, nicht das Wesen von Literatur an sich. Eine erhaltene Tonbandaufnahme zeugt davon, dass Handke Gelächter, Gemurmel und Zwischenrufe erntete, und obwohl er einige Kollegen, unter ihnen Günter Grass – wie sich an deren späteren Kommentaren zeigen sollte – durchaus getroffen hatte, wurde seine Kritik von anderen Teilnehmern vereinnahmt, umformuliert und – etwas abgeschwächt – wiederholt und blieb im Großen und Ganzen unwidersprochen. Handke hatte das literarische Establishment ins Mark getroffen, und für die Feuilletons war sein Auftritt zu einem Diskussionsthema geworden.
Handkes Attacke gegen die so genannte „neue Sachlichkeit“ beginnt nach der Lesung von 
Hermann Piwitt (bei Minute 15:00 des Tondokuments) in der Gruppe 47-Veranstaltung in Princeton 1966 
 http://german.princeton.edu/landmarks/gruppe-47/recordings-agreement/recordings/
Transkription: Thomas Gollas
„Ich möchte zu dieser Art von Literatur, die hier bei der Gruppe 47, wie auch zu dieser eben vorgetragenen Prosa, einige Sätze bemerken, die ich im Verlauf dieser Lesung versucht habe aufzuschreiben. Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht. Man sucht sein Heil in einer bloßen Beschreibung, was von Natur aus schon das Billigste ist, womit man überhaupt Literatur machen kann. Wenn man nichts mehr weiß, dann kann man immer noch Einzelheiten beschreiben. Es ist eine ganz ganz unschöpferische Periode in der deutschen Literatur angebrochen und dieses komische Schlagwort vom „neuen Realismus“ wird von allerlei Leuten ausgenützt um doch da irgendwie ins Gespräch zu kommen, obwohl sie keinerlei Fähigkeiten und keinerlei schöpferische Potenz zu irgendeiner Literatur haben. Es wird überhaupt keinerlei Reflexion gemacht. Es wird eine Philosophie vorgegeben, eine Weltanschauung vorgegeben, in dem man so tut, als gebe es nur die Beschreibung von Einzelheiten und Vorgängen und das ist auch eine Art „Cinema verité“ der Literatur, nach meiner Ansicht. Es ist zwar zu sehen, dass gewisse Fehler der alten Literatur nicht mehr gemacht werden, z.B. wird mit Metaphern sehr vorsichtig umgegangen, aber es ist zu beobachten, dass also vor allem die Errungenschaften dieser neuen Literatur in einer Negation bestehen, dass also die Fehler oder die Klischees der alten Literatur zwar abgeworfen wurden, dass aber das Heil keineswegs in einer neuen Position gefunden wurde, sondern in einer ganz primitiven und öden Beschränkung auf diese so genannte „neue Sachlichkeit“. Und auch die Form dieser neuen deutschen Prosa ist fürchterlich konventionell, vor allem im Satzbau, in der Sprachgestik überhaupt. Auch wenn die einzelnen Worte, also wie gesagt, metaphernlos sind, ist die Gestik dieser Sprache völlig öd und den Geschichten der früheren Zeiten fürchterlich ähnlich. Das möcht‘ ich doch behaupten. (kleine Pause, Gemurmel im Publikum) Es ist hier eine Prosa zu sehen und das Übel dieser Prosa besteht darin, dass man sie ebenso gut aus einem Lexikon abschreiben könnte. Man könnte den Sprachduden, äh,  diesen Bilderduden verwenden und diese Bilder aufschlagen und auf die einzelnen Teile hinweisen und dieses System wird hier angewendet  und es wird vorgegeben Literatur zu machen, was eine völlig läppische und idiotische Literatur ist. (aufbrausendes Gelächter des Publikums, auch Applaus) Und die Kritik ist damit einverstanden, weil eben ihr überkommenes Instrumentarium noch für diese Literatur ausreicht, gerade noch hinreicht. (wieder durchaus wohlwollendes Gelächter des Publikums) Weil die Kritik ebenso läppisch ist, wie diese läppische Literatur. Wenn nun eine neue Sprachgestik auftaucht, vermag die Kritik nichts anderes, als entweder zu sagen, das ist langweilig, sich in Beschimpfungen zu ergehen, oder eben auf gewisse einzelne Sprachschwächen einzugehen, die sicher noch vorhanden sein werden. Das ist die einzige Methode. Weil die Kritik, das Instrumentarium, das überkommene, eben hier nicht mehr hinreichen kann, während sie bei dieser läppischen Beschreibungsliteratur eben noch hinreicht, weil‘s eben hier adäquat ist. Das Instrumentarium der Kritik ist genau dieser Literatur adäquat, die hier vorhanden ist.“ (Aus dem Publikum:  „Herr Handke! Stopp mal! Sie müssen zum Text sprechen“) Handke: „Ja, darf ich noch was sagen? Also es ist die Hauptsache (? Unverständlich) in so einer Literatur, dass die so genannte deutsche Gegenwart vorkommt. Es muss irgendwo, hinter der Hose, muss irgendwie auch Auschwitz auftauchen, wenn auch nur in einem sogenannten Nebensatz, oder ganz beiläufig, oder es muss jedenfalls beiläufig oder ganz lässig muss es da sein, und, wobei man gar nicht bedenkt, dass …“
(Gelächter, Handke wird von Veranstaltungsleiter unterbrochen: „Ja ich habe nicht soviel Zeit, wir wissen jetzt genau, was sie meinen.“ Unruhe, Gemurmel und andere aus dem Publikum unterstützen offenbar Handke, „na ja gut, weiter“, und er bekommt nochmal das Wort.) Handke: „Na ja ich möchte nur nochmal sagen … (Fassen sie sich kurz, bitte Herr Handke!“) Handke: „Ich fasse mich so kurz wie möglich, aber das ist, glaub‘ ich notwendig.“ („aber kein Seminar!“) Handke: „Nein, man sagt zwar, man wisse, was man nicht mehr schreiben dürfe, nicht? und man beschränkt sich nun auf diese gegenständliche Prosa und man schreibt also Sachen, die … man beschreibt nur Gegenstände … , man weiß zwar, was man schreiben darf aber man weiß nicht was man nun schreiben soll, nicht!, das ist glaub‘ ich das Grundproblem dieser ganz dummen und läppischen Prosa, in jedem Fall.“
Günter Grass: „Also ich neige ja ohnehin dazu, mich betroffen zu fühlen“ … (Gelächter… Grass sagt nun, dass sich auch bei ihm einiges aufgestaut habe, dass er sich frage, warum Germanisten Prosa schreiben müssten, die sich selber im Weg stünden und Angst vor jedem normalen Satz hätten, usw. und er gibt Handke völlig recht. Auch Hellmut Karasek gibt Handke teilweise recht, nimmt aber auch die kritisierte Literatur in Schutz.)

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