2. Oktober 2014

"Im inneren Zirkel" von Thomas Gollas

Als er noch ein junger Werber war, musste er einmal ein neues Konzept bei den wichtigsten Vertretern eines großen, mächtigen, Fachhandelsverbands für Metzgereien und Fleischereien präsentieren. Die Konferenz fand statt, in einer großen, fast schlossähnlichen Villa, irgendwo im Rheinischen. Als er mit seinem Kunden, einem amerikanischen Hersteller von Wursthüllen, in den Konferenzraum trat, konnte er sich, beim Anblick der, um einen großen runden Tisch locker zusammen stehenden alten reichen Männer, des beklemmenden Eindrucks nicht erwehren, er sei im innersten Zirkel einer Mafia-Paten-Familie angekommen. Die Herren rauchten dicke Havannas und tranken teuersten Cognac und Whisky. Der offensichtliche Oberboss und Leitwolf, um den herum die anderen versammelt waren, spielte und fingerte locker und beiläufig mit einem Gehstock herum, dessen goldener Knauf einen Löwenkopf darstellte. Auf seinem Mittelfinger steckte ein dicker Siegelring und die ganze Erscheinung erinnerte ihn einerseits an Marlon Brando als später Don Corleone, andererseits aber auch an seinen Großvater mütterlicherseits, der als angesehener Wirt und Metzger und als, wie gesagt wird, Honoratior seines Heimatdorfs, zu Beginn des letzten Jahrhunderts, laut Erzählungen seiner Mutter, immer großen Wert auf seine äußere Erscheinung gelegt habe. (Dessen Zigarrenspitze aus einem bernsteinfarbigen Mundstück und einem silbernen Steckring, nebst passendem Futteral sowie ein Zigarrenetui aus Leder mit der Stickerei eines Blumenmotivs auf der Lasche für die Zigarren, sei heute noch in seinem Besitz.)
Sein Kunde, ebenfalls schon ein älterer Herr, kurz vor dem Ruhestand, war den anderen schon bekannt, wurde begrüßt und stellte ihn als seinen neuen Berater in Werbedingen vor. In den neugierigen und zum Teil überraschten Blicken der Herren, meinte er die kaum verhohlene Arroganz zu entdecken, wie sie ältere und wie gesagt wird gestandene Männer gerne zeigen, wenn sie es mit so genannten Grünschnäbeln zu tun bekommen.
Der Leitwolf und offensichtlich der Gastgeber des Meetings, bat alle an den Tisch. Die Männer setzten sich und sein Kunde erklärte in einer kurzen Einführung, dass er ihn mitgebracht habe, weil er den Herren eine ungewöhnliche, neue Werbemaßnahme seines Unternehmens vorzustellen habe, die, aus seiner Sicht, in der Branche und in Fachkreisen Furore machen und zum Vorteil aller gereichen werde. Er nickte grüßend in die Runde und konnte glücklicherweise sein lähmendes Lampenfieber schnell überwinden, denn er hatte am Tag zuvor dieses Konzept schon mit Erfolg den 80 Außendienstmitarbeitern seines Kunden, wie gesagt wird, verkauft und fühlte schnell eine erlösende Routine, obwohl die einschüchternde Mafia-Paten-Atmosphäre zwischen diesen, mit allen Wassern eines langen Geschäftslebens gewaschenen, alten Füchsen, ehrfurchtgebietend weiterhin vorherrschte.
Als er seinen Vortrag, der ohne jegliche Zwischenfrage interessiert angehört worden war, beendet hatte, herrschte gefühlt ein minutenlanges Schweigen, denn niemand traute sich, als Erster das Wort zu ergreifen. Kurz vor dem Moment als es peinlich zu werden drohte, stand Don Corleone, beziehungsweise der Großvater mütterlicherseits ächzend auf, und sagte, auf seinen Stock gestützt, mit einer dünnen Fistelstimme in die Runde: „Schön, dass es noch junge Leute gibt, die mitdenken können.“
Erlöst und erleichtert, trauten sich nun auch die anderen aus der Deckung und zollten, einer nach dem anderen, dem Konzept lobende Anerkennung. Die Sache war, wie man sagt, gelaufen.
Ziemlich am Ende seines Vortrags sei ihm nicht entgangen, dass einer der Herren, sich knapp entschuldigend, den Raum verlassen habe und nun wieder hereingekommen sei. Sein Kunde habe ihm, in dem nun herrschenden allgemeinen Stimmengewirr, ins Ohr geraunt: „Wissen sie, was der gerade gemacht hat?“ „Nein?“ habe er fragend zurückgeflüstert, worauf ihm sein Kunde verraten habe: “Der hat sofort unsere Konkurrenz angerufen, als er merkte, dass unser Konzept tragfähig ist und brühwarm davon berichtet. Wetten?“
Ziemlich beeindruckt sei er gewesen von diesem ernüchternden Beispiel aus dem, wie man sagt, knallharten Geschäftsleben und diese Erfahrung habe er trotz des momentanen Erfolgs dann bald zum Anlass genommen, seine Karrierepläne zu ändern. Er wollte nicht mehr häufiger als unbedingt nötig, zu tun haben mit Politik, Intrigen, Verrätern, Mächtigen und überhaupt Geschäftsleuten in Anzug und Krawatte. Er wollte fortan seine berufliche Tätigkeit soweit es ging, beschränken auf die Arbeit am Schreibtisch, im so genannten stillen Kämmerlein.

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